Für eine gemeinwohlorientierte Wohnungs- und Bodenpolitik

Dieser Aufruf stammt nicht von der Kampagne #einfachwohnen. Er wurde im November 2019 auf einem Workshop anlässlich des 20-jährigen Jubiläums der Wohnungsverwaltungsgesellschaft P99 initiiert und inhaltlich diskutiert.

An den 1. Bürgermeister Herrn Dr. Tschentscher
An die Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen Frau Dr. Stapelfeldt
An den Staatsrat Herrn Kock
An den Fraktionsvorsitzenden der SPD Herrn Kienscherf
An den Fraktionsvorsitzenden der GAL Herrn Tjarks

Für eine gemeinwohlorientierte Wohnungs- und Bodenpolitik.

Sehr geehrte Damen und Herren !

Mit großer Sorge betrachten die Unterzeichnenden die Entwicklung auf den Wohnungs- und Immobilienmärkten in den letzten Jahren. Es ist unverkennbar, dass ein Marktversagen Ursache für die großen Probleme in diesen Bereichen ist.

Für viele Menschen bedeutet die Wohnraumversorgung heute nicht ein Ausleben von individuellen Freiheiten und Gestaltungsmöglichkeiten, sondern ist verknüpft mit existenziellen Ängsten, sich die ständig steigenden Mieten zukünftig nicht mehr leisten zu können bzw. immer mehr vom Haushaltseinkommen für die Miete aufbringen zu müssen. Deshalb steht in der Öffentlichkeit dieses Thema völlig zu Recht – insbesondere auch in Wahlkampfzeiten – im Mittelpunkt der politischen Auseinandersetzung.

Doch neben dem Erkennen des Marktversagens wird auch deutlich, dass die Politik jahrelang die Zeichen der Zeit nicht erkannt hat. Rückblickend betrachtet war es in vielen Kommunen ein großer Fehler, eigene Wohnungsbaugesellschaften zu privatisieren und zwar nicht nur aus wohnungspolitischen, sondern auch aus volkswirtschaftlichen Gründen. Hamburg hat sich zum Glück entschieden, die städtische Wohnungsbaugesellschaft nicht zu verkaufen.

Mit Hoffnung nehmen wir allerdings auch zur Kenntnis, dass in den letzten Jahren die politisch Verantwortlichen in der Politik aufgewacht sind und beginnen, Maßnahmen zu entwickeln, diesen scheinbar unaufhaltbaren Marktmechanismus zu durchbrechen. Deshalb begrüßen wir ausdrücklich die Aktivitäten der Länder und des Bundes in Bezug auf die Wohnraumversorgung regulierend einzugreifen und die entfesselten Marktkräfte einzudämmen. Deutlich wird dieses z.B. in den Diskussionen über Bodenpolitik und Grundstücksvergabe oder die Verstärkung des öffentlich geförderten Wohnungsbaus.

Vor diesem Hintergrund begrüßen wir ausdrücklich die Anstrengungen und Aktivitäten des Senats in Hamburg, den öffentlich geförderten Wohnungsbau zu verstärken. Dazu gehören auch die Grundstücksvergaben nach Konzeptqualität und die Absicht, Grundstücksvergaben im Erbbaurecht zur Regel zu machen. Auch ist der konsequente Einsatz der Instrumente des allgemeinen Städtebaurechts zu begrüßen, der in Hamburg wie auch in Berlin u.a. zu einer Verstärkung der Anwendung von Vorkaufsrechten geführt hat.

Bei der Betrachtung der aktuellen Situation müssen wir allerdings feststellen, dass trotz der vielen Bemühungen ein zentrales Thema nicht angegangen wurde: Welche Investoren erhalten städtische Grundstücke und bauen mit öffentlichen Mitteln? Mit anderen Worten: Wie kommen diejenigen Investoren zum Zuge, die der Stadt als verlässlicher Partner oder verlässliche Partnerin dauerhaft preiswerten Wohnraum und soziale Leistungen bieten? Hierzu gehören Genossenschaften, städtische Gesellschaften aber auch viele kleinere Organisationen, die sich für gemeinwohlorientierte Ziele einsetzen z.B. Stiftungen, Kirchengemeinden, Baugemeinschaften oder soziale Träger. Diese müssen bei der Grundstücksvergabe bevorzugt behandelt werden, weil sie für die Gesellschaft einen viel größeren Mehrwert bringen als renditeorientierte Investoren, die vor allem wirtschaftliche Ziele verfolgen und ihren Anteilseignern bestimmte Renditen erwirtschaften müssen.

Wir brauchen eine Wohnungswirtschaft, die ihr wirtschaftliches Handeln am Gemeinwohl ausrichtet. Die Wohnreformbewegung hat schon vor mehr als 100 Jahren Kriterien des gemeinwohlorientierten Bauens entwickelt. Das alte Instrument der Wohnungsgemeinnützigkeit, das leider vor über 30 Jahren abgeschafft wurde – muss gründlich reformiert, auf die heutige Zeit angepasst und wiederbelebt werden. Dazu müssen europarechtskonforme vergaberechtliche Wege gefunden werden

Mit Unverständnis nehmen wir in dieser angespannten Situation aber auch zur Kenntnis, dass die traditionelle Wohnungswirtschaft bzw. ihre Verbände alle Versuche der Politik, regulierend einzugreifen, mit einer seltenen Schärfe und Radikalität bekämpfen, die der gesamtgesellschaftlichen Sprengkraft dieser Thematik nicht gerecht wird. Die Androhung, es würden dann keine Wohnungen mehr gebaut werden, ist ein leicht zu widerlegendes Märchen. Die hier unterzeichnenden Unternehmen und noch viele andere sind sofort bereit, ihren Teil zu der Thematik beizutragen.

Mit Nachdruck fordern wir die Politik auf, in dem Bereich der Wohnungspolitik das Verhältnis der grundgesetzlich zugesicherten Verpflichtung des Eigentums, auch der Allgemeinheit zu nutzen, gegenüber dem ebenfalls im Grundgesetz garantierten Schutz des Eigentums neu auszubalancieren. Ziel muss eine dem Gemeinwohl nützende Wohnungspolitik sein, die ausreichenden Wohnraum für breite Schichten der Bevölkerung bereitstellt und die eine weitere Spaltung der Gesellschaft, die sich immer mehr auch in der ungleichen Verteilung von Immobilieneigentum manifestiert, nicht weiter vorantreibt.

Vor diesem Hintergrund fordern wir die politisch Verantwortlichen auf, in diesem Bereich der Daseinsvorsorge weiter regulierend einzugreifen und die oben beschrieben Instrumente mutig anzuwenden und weiterzuentwickeln!

Hamburg, den 21.1.2020

Dieser Aufruf wurde im November 2019 auf einem workshop anlässlich des 20-jährigen Jubiläums der Wohnungsverwaltungsgesellschaft P99 initiiert und inhaltlich diskutiert. An der Veranstaltung nahmen die Wohnungsbaugesellschaften bzw. Kunden, die von P99 verwaltet werden, teil. Dies sind:

Mietergenossenschaft Falkenried-Terrassen eG, Hamburg
Wohnungsbaugenossenschaft Jung und Alt eG, Hamburg
Wohnungsbaugenossenschaft Brachvogel eG, Hamburg
Wohnungsbaugenossenschaft Wohnwarft eG, Hamburg
Wohnungsbaugenossenschaft Schanze eG, Hamburg
Riwetho eG, Oberhausen
Wohnungsbaugenossenschaft Wendebecken eG, Hamburg
Casa Nostra GbR, Hamburg
Wohnungsbaugenossenschaft Greves Garten eG, Hamburg
Wohnungsbaugenossenschaft Markthof eG, Hamburg
Wohnungsbaugenossenschaft Alternativen am Elbufer eG, Hamburg
Daksbau eG, Dessau
Genossenschaft St. Pauli Hafenstraße eG, Hamburg
Lohmühle Wohngenossenschaft eG, Hamburg
Gemeinschaftlich Wohnen eG, Wiesbaden
Wohnungsbaugenossenschaft Ottenser Dreieck eG, Hamburg
Wohnungsbaugenossenschaft Königskinder eG, Hamburg
Wohnungsbaugenossenschaft Wohnreform eG, Hamburg
Selbsthilfe Fischland eG, Fischland-Darß
Wohnungsbaugenossenschaft Dampfziegelei eG, Kiel
Wohnungsbaugenossenschaft Osterkirchenviertel eG, Hamburg
Sozialgenossenschaft St. Pauli Nord und rundrum eG, Hamburg
Wohnungsbaugenossenschaft Stattschule eG, Hamburg
Eckodomo eG, Eckernförde
Königsmoor eG, Kiel-Mönckeberg
Hintern Höfen eG, Lübeck
Freiheit 84 e.V, Hamburg.
Wohnungsbaugenossenschaft Gnadenkoppel eG, Hamburg
fux eG, Hamburg
Gängeviertel Genossenschaft 2010 eG, Hamburg
Mittendrin Leben eG, Dahlem
Zur Goldenen Kanonenkugel GmbH, Hamburg
Wohnungsbaugenossenschaft Schlüsselbund eG, Hamburg
Wohnungsbaugenossenschaft Ecken und Kanten eG, Hamburg
Wohnungsbaugenossenschaft Nestbau eG, Hamburg
Wohnungsbaugenossenschaft für solidarisches Wohnen eG, Hamburg
Wohnungsbaugenossenschaft Warderlüüd eG, Hamburg
Wohnungsbaugenossenschaft staTThus eG, Husum

Weitere Unterstützer:

Drachenbau St. Georg Wohngenossenschaft eG , Hamburg

Omaba Hausverwaltungs GmbH, Hamburg

Eins a Vermietungs GmbH, Hamburg

WEG-Damit Hausverwaltungs GmbH, Hamburg

Handwerkerhof Ottensen GmbH, Hamburg

Amalie-Sieveking Stiftung, Hamburg

Dachverband Autonome Wohnprojekte Hamburg

Initiative Jägerpassage e.V., Hamburg

Wohnprojekt Vereinsstraße e.V., Hamburg

Diakonisches Werk Hamburg

Wohnprojekt Große Freiheit e.V., Hamburg

Wohnungsgenossenschaft DAKSBAU eG Dessau

Caritasverband für das Erzbistum Hamburg e. V., Landesstelle Hamburg